Veröffentlicht von Prof. Dr. jur. Burkhard Oexmann am 18.03.2014

Tötung von Nutzungstieren aus juristischer Sicht

1. § 17 Nr. 1 Tierschutzgesetz (TierSchG) lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet.“

2. Die tierschutzrechtliche Analyse dieser Vorschrift fokussiert sich auf die Tötung
a)
neonater Tiere (männliche Eintagsküken) und

b)
gesunder Tiere eines teilweise erkrankten Bestandes.

3. Im Strafrecht wird der potentielle Täter einer dreistufigen Prüfung unterzogen, gegliedert nach
a)
Tatbestand (objektive und subjektive Verwirklichung der Strafnorm)

b)
Rechtswidrigkeit (ihrer Indikation durch die Vollendung des Tatbestandes entgeht man mittels eines Rechtsfertigungsgrundes)

c)
Schuld (Vorsatz oder Fahrlässigkeit).
Bejaht man die tatbestandliche Verwirklichung einer Strafrechtsnorm, entgeht der Täter dem Straffolgenausspruch nur, wenn er sich mit Erfolg auf Notwehr, Nothilfe oder einen Verbotsirrtum berufen kann.

4. Das Oberlandesgericht Koblenz hat sich im Beschluss vom 17.09.1999 zu 2 Ss 198/99 mit dem Tatbestandsmerkmal „vernünftiger Grund“ im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG befasst. Es handele sich um einen „offenen Tatbestand“. Notwendig sei eine Abwägung dahin, ob die tatbestandsmäßige Handlung nicht als im Lebenszusammenhang gerechtfertigt erscheine und damit sozialadäquat sei. Nach dem strafprozessualen Grundsatz „in dubio pro reo“ gereichen alle Zweifel zum Vorteil des Angeklagten.

5. Der Autor Johannes Caspar hat im Jahr 1997 zum „vernünftigen Grund“ im Tierschutzgesetz gemeint, der vernünftige Grund stelle eine „anthropozentrische Rechtfertigungsnorm“ dar. Alle sozial anerkannten Ziele könnten herangezogen werden. Stellt man das Adjektiv „anthropozentrisch“ dem Begriff „biozentrische Perspektive“ gegenüber, verlässt man das grundlegende Wertungssystem unserer Rechtsordnung und begibt sich auf die Ebene idealisierender Esoterik.

6. Ökonomische Gründe für die Tötung neonataler Tiere sind nach der aktuellen agrarwissenschaftlichen Dissertation von Mirjam Koenig (Frankfurt am Main 2012) alle Überlegungen zur Mastleistung und Schlachtkörperzusammensetzung männlicher Hühnerküken (Masthahnküken). Trotz Verkürzung der Mastdauer und Optimierung der Fütterung seien die Kosten bei diesen Tieren doppelt so hoch wie bei der konventionellen Hühnermast. Die Stubenkükenproduktion liefere einen Beitrag zum Tierschutz. Es sei aber kaum möglich, den Konsumenten davon zu überzeugen, die produktionsbedingt höheren Preise zu tragen. Literarisch eine Anleihe bei Bert Brecht und seiner „Mutter Courage“: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“.

7. Die aktuelle veterinärmedizinische Dissertation aus Gießen (2010) von Dirk Imholt befasst sich mit morphometrischen Studien an Eiern zur Geschlechtsdetektion darin befindlicher Küken (in-ovo-Geschlechtsbestimmung). Ergebnis: Erst ein künftiger derzeit ungewisser Zuchtfortschritt wird in der Lage sein, die Tötung männlicher Eintagsküken zu vermeiden oder gar auszuschließen.

8. Der namhafteste deutsche Tierschutzrechtler, Christoph Maisack, hat sich in der Literatur wiederholt mit den Eintagsküken befasst. Seine Auffassung (etwa im Kommentar Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 2. Auflage, Tübingen 2007,
§ 17 TierSchG Rn. 49) lautet vereinfacht:

a) Strukturell bedeute ein „vernünftiger Grund“ im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG den (notwendigen) Rechtfertigungsgrund, um nicht nach Maßgabe dieser Vorschrift strafrechtlich belangt zu werden.

b) Tiertötung mittels Kohlendioxid (CO2) und Homogenisator („Mussen“) sei gesetzeswidrig.

c) Ökonomische Gründe rechtfertigten keine Tiertötung.

d) Die Retardierung des Fleischwachstums würde, so Maisack a.a.O., die Nahrungsmittelqualität steigern und damit der menschlichen Gesundheit dienen (Stichwort: Weniger Abdominalfett bei Masthahnküken).

e) Meisack beruft sich sodann auf die gesetzgeberische Implantation des Begriffes „Mitgeschöpflichkeit“ im Sinne des Art. 20a des Grundgesetzes (GG) und des
§ 90a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

9. Diese Ansätze sind falsch. Derzeit ist die Tötung neonataler Hahnküken binnen 60 Stunden legalisiert. Ich verweise auf die §§ 2 Nr. 3, 12 Abs. 9 Tierschutz-Schlachtverordnung (TierSchlV). Wenn ich lese, dass der Nordrhein-Westfälische Landwirtschaftsminister Remmel die Tötung von Eintagsküken künftig per Verordnung ausschließen will, sehe ich dem als Jurist mit Gelassenheit entgegen, weil eine Länderverordnung nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen die vom Bund erlassene Tierschutz-Schlachtverordnung nicht aushebeln kann.

10. In der aktuellen (teils esoterischen) Literatur tauchen Versuche auf, dem Tier eine eigene Rechtspersönlichkeit wie einem Menschen zu verleihen. Das Tier soll in der Tier-Mensch-Beziehung in der Gesellschaft, in Ethik und Recht neu positioniert werden. Das würde fraglos die Veränderung des Grundgesetzes voraussetzen. Zwei kanadische Autoren mit dem Fach „Politische Philosophie“ haben jüngst sogar eine „politische Theorie der Tierrechte“ publiziert.

11. Zusammenfassung:
Unter dem Aspekt der „Sozialadäquanz“ sticht, soweit es um die Tötung neonataler Tiere geht, der Zwang zur ökonomischen Marktausrichtung ins Auge. Dieser bildet den vernünftigen Grund im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG. Hier ist unbedingt einem anthropozentrischen Duktus zu folgen. Verfassungsrechtlich gebietet dies die Präambel zum Grundgesetz, das aus der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ verabschiedet wurde. Schon das auf Moses zurückgehende Buch „Genesis“ des Alten Testamentes gibt den Menschen auf, über die Tiere zu herrschen. (Kap. 1 Vers 28). Das schließt notwendigerweise die Anerkennung ökonomisch ausgerichteter Verhaltensweisen der Bevölkerung im Rahmen der existenziellen Nahrungsmittelaufnahme ein, und zwar bei einer Weltbevölkerung von 8 Milliarden Menschen und globaler Argrarmärkte.

12. Soweit es um die Tötung gesunder Tiere, die aus einem teilweise erkrankten Bestand kommen geht, sehe ich nirgends einen Rechtsfertigungsgrund im Sinne „ohne vernünftigen Grund“ als anthropozentrische Messlatte nach § 17 Nr. 1 TierSchG. Wenn es genauso gut möglich ist, die integrierte Bestandsbetreuung mittels Tötung erkrankter Tiere durchzuführen und sicherzustellen, gibt es auch und gerade nach Maßgabe meiner grundgesetzlichen Erwägungen nicht ansatzweise einen Grund, von der Erkrankung nicht betroffene Tiere zu töten. Etwas anderes mag gelten, wenn diese Tiere im Verdacht stehen, bereits latent erkrankt zu sein.

13. Judikatur und Literatur:

  • Beschluss des OLG Koblenz vom 17.09.1999 zu 2 Ss 198/99, NuR 2000, 236-237
  • Binder, Der „vernünftige“ Grund für die Tötung von Tieren, NuR 2007, 806-813
  • Caspar, Der vernünftige Grund im Tierschutzgesetz, NuR 1997, 577-583
  • Donaldson/Kymlicka, Zoopolis, Eine politische Theorie der Tierrechte, Berlin 2013
  • Imholt, Morphometrische Studien an Eiern von Hybrid- und Rassehühnern mit Versuchen zur Detektion einer Beziehung zwischen der Form von Eiern und dem Geschlecht der darin befindlichen Küken, Veterinärmedizinische Dissertation, Gießen 2010
  • Koenig, Verwendung männlicher Hühnerküken aus Legehybridherkünften zur Erzeugung von Stubenküken, Argrarwissenschaftliche Dissertation, Frankfurt am Main 2012
  • Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz 6. Auflage, München 2008, § 17 TierSchG passim
  • Maisack, Zum Begriff des vernünftigen Grundes im Tierschutzrecht, Juristische Dissertation, Baden-Baden 2007
  • Maisack in: Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 2. Auflage, München 2007, § 17 TierSchG passim
  • Moses, Erstes Buch (Genesis), Altes Testament, ca. 800 v. Chr., Verfasser unbekannt
  • Ort, Zur Tötung unerwünschter neonataler und juveniler Tiere, NuR 2010, 853-861
  • Raspé, Die tierliche Person, Berlin 2013

 

Dr. jur. Burkhard Oexmann
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