Veröffentlicht von Prof. Dr. jur. Burkhard Oexmann am 23.02.2016

Der Tierarzt im Treibsand von §§ und Richtern?

Methodische Einführung
In meiner altsprachlich-humanistischen Gymnasialzeit haben mich die drei griechischen Philosophen Sokrates, Aristoteles und Platon fasziniert und trotz ihrer aus heutiger Sicht antiken Methode bis auf den heutigen Tag nachhaltig beeinflusst. Im akademischen Diskurs bevorzuge ich daher eher die polarisierende Provokation. Diskurs lebt vom Widerspruch.

Thematische Hinführung
Mein Mantra „Verrechtlichung der Veterinärmedizin in personeller und quantitativer Hinsicht“ soll wegen der Kürze der Zeit auf folgende Themen fokussiert werden:

 

  • Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
  • Aufklärung
  • Dokumentation
  • wirtschaftliche Aufklärung
  • grobe Fahrlässigkeit
  • „Sachverständigenrepublik“
  • Ersatzansprüche des Tierarztes bei Eigenschäden.

 


Sozioökonomie und Selbstbewusstsein
Ich schicke voraus: Wie jeder akademische Beruf ist der des Tierarztes mit Risiken behaftet. Ökonomisch werden Schadensfälle durch den Haftpflichtversicherer abgefedert, psychisch hilft nur das gestärkte Selbstbewusstsein. Unsere Gesellschaft hat sich hin entwickelt zu einer Einforderungs- und Kaskogesellschaft. Das Wort „schicksalhaft“ ist aus dem Vokabular der Bevölkerung gestrichen. Jede vermeintliche Beeinträchtigung von Rechtsgütern wird, häufig mit Unterstützung eines Rechtsschutzversicherers, zum Anlass von anspruchsassoziierte Streitigkeiten genommen. Mein Appell an alle Tierärzte: Sie haben ein ausgesprochen langes und kompliziertes vollakademisches Studium mit Erfolg absolviert, Sie sind vom Staat approbiert in den tierärztlichen Beruf entlassen. Zeigen Sie Selbstbewusstsein, auch in kritischen Momenten. Mein Ratschlag: Agieren, nicht reagieren. Kommt es zu einer „Panne“, offensiv auf die Patienteneigentümer zugehen und ihnen erklären, was passiert ist. Eines wird in unserer Gesellschaft selbst von denjenigen, die im Sinne der Kaskomentalität alle Wechselschicksale des Lebens auf Dritte ablasten wollen, durchaus akzeptiert, nämlich sofortige transparente Kommunikation auf Augenhöhe.

Allgemeine Geschäftsbedingungen
§ 305 Abs. 1 S. 1 BGB definiert die AGB: „Allgemeine Geschäftsbedingungen sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt.“ Grundsätzlich ist damit auch Tierärzten die Möglichkeit eröffnet, ihre Rechtsbeziehungen zu den Auftraggebern (Patienteneigentümern) uniform zu gestalten und eigene Rechtspositionen zu stärken. Im Vordergrund stehen dabei das Haftungsmanagement, die Verjährung sowie die gutachterliche Tätigkeit. Indes scheitern Tierärzte-AGB häufig an drei Klippen, nämlich

 

 

 

  • dem besonderen Charakter des Berufs des Tierarztes
  • dem Transparenzgebot
  • dem Klauselverbot nach § 309 Nr. 7a + b BGB.

 


Im Einzelnen: Ich habe bereits im Grundsatz Bedenken, ob Tierärzte, soweit es sich um kurative Tätigkeit handelt, überhaupt mit antizipierten Vertragsklauseln im Sinne von AGB agieren dürfen. Nach § 1 Bundestierärzte-Ordnung und § 2 der Musterberufsordnung der Bundestierärztekammer üben Tierärzte einen freien, also eigenverantwortlichen Beruf aus, der sich an höheren (ethischen) Werten wie vor allem dem Tierwohl orientiert (Art. 20a GG, § 90a BGB). Übt der Tierarzt aber einen freien, mit hohen ethischen Maßstäben flankierten Beruf aus, ist er dem jeweiligen Tierindividuum verpflichtet, was zu individuell gestalteten Verträgen und nicht zu einer Massenhaftigkeit von Verträgen führt. Eine Beschränkung der Haftung des Tierarztes im Bereich von grober Fahrlässigkeit scheidet von vornherein aus. Das verbietet expressis verbis das Gesetz (§ 309 Nr. 7a + b BGB). Auch die Beschränkung der Haftung im Bereich von „Kardinalpflichten“ scheitert. Der Bundesgerichtshof hat nämlich den Grundsatz aufgestellt, dass „wesentliche Pflichten (früher auch Kardinalpflichten genannt) nicht unangemessen eingeschränkt werden dürfen“. Die betroffene wesentliche Pflicht muss dabei nicht ausdrücklich aufgehoben werden, ausreichend ist die nicht mehr angemessene Sanktionierung oder Sanktionslosigkeit ihrer Verletzung1. Welche Rechte und Pflichten vertragswesentlich sind, richtet sich bei typisierten Vertragsarten nach der gesetzlichen Struktur, wobei subjektive Vorstellungen in den Hintergrund treten. Gibt es kein gesetzliches Leitbild, ist auf die – aus Natur und Zweck des konkreten Vertrages abzuleitenden – Gerechtigkeitserwägungen abzustellen, die im Wege einer generalisierenden und typisierenden Betrachtung zu ermitteln sind2. Damit führt der Versucht, durch Mustervertragsbedingungen in den Kernbereich tierärztlicher Tätigkeit zugunsten des Tierarztes regulierend einzugreifen, zum gefährlichen „Ritt auf der Rasierklinge“. Denn der Tierarzt wägt sich in Sicherheit, in Wirklichkeit führt die AGB-rechtliche Unwirksamkeit seiner Klauseln zur Erhaltungsreduktion des Vertrages im Übrigen auf die gesetzlichen Normen. Bodengewinn gleich Null3.

Aufklärung
Grundsätzlich, so die ständige Rechtsprechung, ist die von einem Tierarzt zu fordernde Aufklärung des Patienteneigentümers nicht mit der Humanmedizin zu vergleich, weil es nicht um das schützenswerte aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete Selbstbestimmungsrecht eines (menschlichen) Patienten geht. Es handelt sich vielmehr um eine (normale) vertragliche Aufklärungs- und Beratungspflicht, wenn die Behandlung des Tieres besonders risikoreich ist bis hin zum Totalverlust und andererseits hohe finanzielle Interessen eine Rolle spielen4. Allerdings haben die Tierärzte ein strukturelles Problem. Durch Modifikation der gerichtsinternen Geschäftsverteilungspläne bei den Landgerichten und Oberlandesgerichten fällt die Zuständigkeit für Tierarzthaftungsverfahren häufig in diejenige für die humanmedizinische Arzthaftung. Damit findet eine „intellektuelle“ Assimilation statt. Der Richter, der um 09:00 Uhr einen Schadensersatzprozess gegen einen Gynäkologen verhandelt, wird um 11:00 Uhr strukturell-kongenital denken, wenn nunmehr Regressansprüche gegen einen Tierarzt wegen eines Injektionszwischenfalls verfolgt werden. Ein klassisches Beispiel dafür bildet der 5. Zivilsenat des OLG Koblenz, dem Arzthaftungssenats jenes Berufungsgerichts. Ich zitiere, bezogen auf einen postoperativen Zwischenfall bei der Behandlung eines Hengstes, den Leitsatz 1 des Urteils des OLG Koblenz vom 24.10.20125: „Die wirksame Einwilligung in die Operation eines Tieres setzt grundsätzlich nicht voraus, dass der Tierhalter nach den für die Behandlung eines Menschen geltenden Maßstäben über Risiken unterrichtet wird, weil es nur um wirtschaftliche Interessen geht, die allerdings durch die rechtlichen und sittlichen Gebote des Tierschutzes erweitert sind. Der Halter muss daher vom Tierarzt in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung auf Kenntnisse zu gründen, die seine Operationseinwilligung als Ausfluss einer eigenen wahren inneren Willensbildung erscheinen lassen. Unter diesem Aspekt kann die Operationseinwilligung unwirksam sein, wenn der Tierarzt grundlegende Informationen über statistisch erhebliche Risiken verschweigt, die sich durch die Wahl einer anderen Operationsmethode minimieren lassen (hier: Offene oder bedeckte Kastration eines Hengstes)“. Hier kommt es zur Adaption humanmedizinischer Arzthaftungsgrundsätze. Dort heißt es nämlich, Risikostatistiken seien für das Maß der Aufklärung von nur geringem Wert, sie schlüsselten die Risiken meist zu eng nach medizinischen Verwirklichungsformen und –graden auf und unterschieden nicht zwischen unvermeidbaren und vermeidbaren Risiken6. Auch in der Humanmedizin ist über seltene Risiken aufzuklären, wo sie, wenn sie sich verwirklichen, die Lebensführung schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien überraschend sind7.

Dokumentation
Der Tierarzt ist aus seiner Vielzahl rechtlicher Vorschriften verpflichtet, seine prophylaktischen, diagnostischen und therapeutischen Schritte zeitnah substantiiert analog oder digital zu dokumentieren. Berufsrechtlich folgt dies aus den Regelungen in den Kammer-Landesgesetzen, den Berufsordnungen der Tierärztekammern und zivilrechtlich aus § 810 BGB. Die Verletzung dieser Dokumentationspflichten mag standesrechtlich sanktionabel sein, zivilrechtlich führt sie in aller Regel zur Beweislastumkehr, insbesondere bei unterbliebener Befunderhebung. So heißt es in einem Orientierungssatz eines Urteils des OLG Brandenburg8: „Die fehlende Dokumentation einer Befunderhebung schafft die vom Tierarzt durch Beweis wiederlegbare Vermutung der unterlassenen Befunderhebung (Feststellung des Refluxes, Prüfung des Hämatokritwertes). Dabei schafft die Annahme einer unterlassenen Befunderhebung zugleich eine Beweislastumkehr bezüglich der haftungsbegründenden Kausalität (§ 286 Abs. 1 S. 1 ZPO) zwischen Unterlassen und Schaden, so dass der behandelnde Tierarzt die angenommene Kausalität widerlegen muss.“ Auch hier: Klassische Adaption der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung des Humanmediziners unter dem Aspekt der Beweiserleichterungen bei Verstoß gegen die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung9.

Wirtschaftliche Aufklärung
Hier droht den Tierärzten Ungemach. Bisher hatte die Rechtsprechung eine rein ökonomisch orientierte Aufklärungspflicht bei Tierärzten nicht diskutiert. Wegen der oben mehrfach beschriebenen „kongenialen Parallelität“ zur humanmedizinischen Fokussierung ärztlicher Tätigkeit könnte sich hier alsbald ein Paradigmenwechsel vollziehen. Im Jahre 2013 ist das Patientenrechtegesetz in Kraft getreten. Dessen § 630c Abs. 3 statuiert Informationspflichten mit folgender Formulierung in Satz 1: „Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren.“ In der Kommentierung, schon aus der Zeit vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes, heißt es10, insbesondere sei der (humanmedizinische) Arzt zur Aufklärung zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des Patienten verpflichtet, wenn dessen Einwilligung von einer Kenntnis über die Kosten der Behandlung mit abhänge. Arzt und Krankenhaus müssten den Patienten deshalb darauf hinweisen, wenn sich befürchten müssten, dass die Krankenkasse die vom Patienten gewünschte oder vom Arzt vorgesehene Behandlung nicht bezahlen werde. Die wirtschaftliche Aufklärung diene dem Schutz des Patienten vor finanziellen Überraschungen. Nun ist der Patienteneigentümer in aller Regel nicht „krankenversichert“ (von wenigen Fällen privater Operationskosten-Versicherungen abgesehen). Die Problematik der wirtschaftlichen Aufklärung stellt sich aber immer dann, wenn dem Tierarzt vor Behandlung eines traumatisierten Tieres mitgeteilt wird, hier liege ein Schadensfall vor, dessen Folgen einen Dritten träfen (Verletzung eines Hundes durch einen Pkw, Verletzung einer Katze durch einen Hundebiss). Bis vor kurzem war die Rechtsprechung, welche Schadensersatzansprüche die Eigentümer der verletzten Tiere gegenüber dem Schädiger verfolgen könnten, kontrovers und unstrukturiert. Während die Verhältnismäßigkeitsschwelle vor 20 Jahren noch grundsätzlich mit 130 % des Verkehrswertes des verletzten Tieres angesehen wurde, hat sich unter Einfluss des Tierschutzgedankens in der Tiermedizin (§ 90a BGB sowie Art. 20a GG) eine andere Auffassung im Sinne einer höheren Verhältnismäßigkeitsschwelle entwickelt. So hat das OLG München11 gemeint, die Verhältnismäßigkeitsschwelle liege bei einem Vielfachen eines Marktwertes, vor allem bei extrem hohem Affektionsinteresse des Eigentümers des geschädigten Tieres. Konkret hatte der Berufungssenat in München gemeint, die Verhältnismäßigkeitsschwelle liege der Höhe nach beim sechsfachen Wert des verletzten Tieres. Das OLG Schleswig-Holstein12 vertrat die Auffassung, dass die Verhältnismäßigkeitsschwelle durchaus bis an das Zehnfache des Wertes des verletzten Tieres heranreichen könne. Mit dieser Rechtsprechungsdivergenz hat der Bundesgerichtshof aufgeräumt und in seiner grenzenlosen Weisheit zu den Heilbehandlungskosten nach § 251 Abs. 2 S. 2 BGB ausgeführt13, zur Ermittlung noch verhältnismäßigen Heilbehandlungskosten dürfe es stets einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls seitens des Tatrichters. Dabei könne auch das individuelle Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem verletzten Tier von Bedeutung sein. Im Ergebnis hat der Bundesgerichtshof gemeint, der dreifache Jahreswert der Unterhaltungskosten des Tieres bilde die Obergrenze für die Erstattungsfähigkeit der Tierheilbehandlungskosten.

Grobe Fahrlässigkeit
Ein scharfes Schwert für die Berufsausübung der Tierärzte könnte die Adaption des § 630h BGB aus dem schon mehrfach erwähnten Patientenrechtegesetz von 2013 werden. Absatz 1 dieser Vorschrift bestimmt: „Ein Fehler des Behandelnden wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat.“ Während es sich hier um eine Legaldefinition des Behandlungsfehlers handelt, wird im gleichen Paragraphen eine Kausalitätsvermutung festgezurrt. § 630h Abs. 5 S. 1 BGB lautet: „Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war.“ Zwar hat das OLG Oldenburg14 angenommen, § 630h Abs. 5 S. 1 BGB könne auf Veterinäre mangels planwidriger Regelungslücken im Gesetz nicht analog („rechtsähnlich“) angewendet werden, hat aber wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, wo am 10.05.2016 um 09:00 Uhr zum Aktenzeichen VI ZR 247/15 verhandelt werden wird15. Auch hier bleibt die Sache spannend, im Bereich der Haftung bewegen sich die Tierärzte auf einem Pfad, an dessen Ende die strukturelle Gleichstellung mit den Humanmedizinern nahezu perfekt vollzogen werden könnte.

„Sachverständigenrepublik“
Zivilprozessuale Auseinandersetzungen vor staatshoheitlichen Gerichten laufen regelmäßig auf die justizielle Entscheidung hinaus, welche Behauptung welcher Partei „wahr“, also richtig ist. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO formuliert diesen Grundsatz der freien Beweiswürdigung wie folgt: „Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist.“ Das Wesen der freien Beweiswürdigung spiegelt sich wider im Beweismaß. Eine Behauptung ist bewiesen, wenn das Gericht von seiner Wahrheit überzeugt ist, ohne dabei unerfüllbare Anforderungen zu stellen. Hierfür genügt, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grund von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen16. Dem Sachverständigen fällt dabei die „Erstattung des Gutachtens“ (§ 407 Abs. 2 ZPO) zu, wobei, damit leben wir in einer „Sachverständigenrepublik“, der Sachverständige an die strikten Vorgaben des Gerichts gebunden ist17. Die Induzierung des Sachverständigen und seiner Tätigkeit folgt im human- und veterinärmedizinischen Prozess insbesondere aus der Pflicht des Gerichts zur Präzisierung der Beweisfrage. So fordert die Rechtsprechung des für die Arzthaftung zuständigen 6. Zivilsenats des BGH18, durch Formulierungshilfe darauf hinzuwirken, dass die Beweisaufnahme auf die medizinisch (tiermedizinisch) wesentlichen Umstände ausgerichtet wird. Deshalb muss die Beweisfrage hinreichend präzise sein; allerdings nicht so präzise, dass sie den Sachverständigen zur Aussparungen veranlassen kann, die die Schwerpunkte in der erforderlichen Gesamtbetrachtung verlagern. Dieser Modus der freien Beweiswürdigung führt bisweilen zur skurrilen Verhältnissen. So erlebe ich es immer wieder, dass vor allem (junge und unerfahrene) Richter bei der Wahl, welche Sachverständige bestimmt werden soll, sich an die Industrie- und Handelskammer oder gar an die Handwerkskammer wenden, statt die dafür vom Gesetz her bestimmte Landestierärztekammer im Wege der Amtshilfe anzuschreiben. Noch deutlicher wird meine Kritik, dass wir in einer „Sachverständigenrepublik“ leben, wenn ich an den zweigeteilten „Sachverständigenmarkt“ denke. Da ich veterinärmedizinisch assoziierte Gerichtsverfahren in der ganzen Bundesrepublik Deutschland (und auch im europäischen Ausland) führe, kann ich mit dem Brustton der Überzeugung behaupten: Es gibt in unserem Staat keine 10 Sachverständige im Bereich des Veterinärwesens, die mit der Anforderung an wissenschaftliche Stringenz und erschöpfende Literaturkenntnis ihre Gutachten erstellen. Gerade im Bereich der Nutztierpraxis und der Kleintiere erlebe ich bisweilen Gutachten offenbar nach dem Zufallsprinzip bestimmter „Sachverständiger“, die man bereits nach der Lektüre der Schulmedizin und mit der Gabe kritischer Distanz „zerzausen“ kann. Hier hilft nur eines, nämlich kritische Gutachtenanalyse auch und gerade mit Hilfe des betroffenen Tierarztes, der im versicherungsrechtlichen Innenverhältnis zu seinem Haftpflichtversicherer dazu verpflichtet ist, um keine Obliegenheitsverletzung zu begehen.

Schadensersatzansprüche des Tierarztes
Kommt es während der Berufsausübung zur Verletzung des Tierarztes und/oder Beschädigung seines Praxisinventars, ist es – ein Lichtblick für die Tierärzteschaft – vor sieben Jahren zu einem Paradigmenwechsel gekommen. Die Frage, ob der Tierarzt bei tierärztlichen Maßnahmen Versicherungsschutz genießt, er also etwa den Halter eines von ihm behandelten Tieres aus dem Gesichtspunkt der verschuldensunabhängigen Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB in Anspruch nehmen kann, war jahrzehntelang höchst umstritten und wurde von den Obergerichten meist negativ beschieden. Argumentation: Der Tierarzt übernehme freiwillig das Verletzungsrisiko. Damit hat der Bundesgerichtshof am 17.03.200919 gründlich aufgeräumt. Ein Ausschluss der Tierhalterhaftung wegen Handelns auf eigene Gefahr komme regelmäßig nicht in Betracht, wenn sich der geschädigte Tierarzt der Tiergefahr ausgesetzt habe, um aufgrund vertraglicher Absprache mit dem Tierhalter Verrichtungen an dessen Tier (hier war es ein Pferd) vorzunehmen. Die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln vom „Handeln auf eigene Gefahr“ hätten Ausnahmecharakter und könnten auf das Verhältnis des diagnostizierenden/therapierenden Tierarztes zum Tierhalter keine Anwendung finden. Das Handeln desjenigen, der sich einem Tier aus beruflichen Gründen im Interesse des Tierhalters und mit dessen erklärter oder anzunehmender Billigung helfend nähere, könne nicht rechtlich in ungefährliche Handlungen auf Gefahr des Tierhalters und in gefährliche Handlungen auf Gefahr des handelnden Tierarztes aufgeteilt werden. Ein Tierarzt, der, so im konkreten Fall a.a.O., ein Pferd im Auftrag des Tierhalters medizinisch versorge, handele in der Regel in keiner Phase der Behandlung auf eigene Gefahr. Vielmehr setze er sich der Tiergefahr mit triftigem Grund aus, ja, er müsse sich ihr aussetzen, wenn er seinen ärztlichen Auftrag und dem Vertrag mit dem Tierhalter erfüllen wolle. Allerdings müssen die Tierärzte eine Kröte schlucken, nämlich die der mitwirkenden Verursachung (Mitverschulden) nach § 254 Abs. 1 S. 1 BGB. In einem vom OLG Celle rechtskräftig entschiedenen Fall20 hatte sich der klagende Tierarzt nach einer bei einem stationär mittels Rektoskopie in Allgemeinnarkose behandelnden Hund dem Tier, präziser: dem Kopf des Tieres genähert, wobei es zu einem Hundebiss in eine Hand kam. In diesem Vorgehen lag, so das OLG Celle a.a.O., ein erheblicher Verstoß gegen die den Kläger im eigenen Interesse treffende Pflicht, sich vor den von dem in der Aufwachphase befindlichen Hund ausgehenden Gefahren zu schützen. Der tiermedizinische Sachverständige hatte nämlich angegeben, dass ein narkotisierter Hund in der Aufwachphase aufgrund übersteigerter Reflexe außergewöhnlich reagiere. Das hätte, so das OLG Celle, dem Kläger als erfahrenem Tierarzt bekannt sein müssen21.

Hinweise:
1 Honda-Entscheidung des BGH in NJW 2006, 46 („intransparent“)
2 Fuchs in: Ulmer/Brandner, Hensen, AGB-Recht, 11. Auflage 2011, § 307 BGB Rn. 275 mit Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen in Fn. 1069 und 1070
3 vgl. auch: von Westphalen, Einige Überlegung zu neuralgischen AGB-Klauseln in Pferdekaufverträgen, in: ZGS 2008, 135 bis 143; ferner Christof Peter, Haftungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in: Jura 2015, 121 bis 129
4 rechtskräftiges Urteil des OLG Hamm vom 13.01.2015 zu 26 U 95/14 mit Rechtsprechungsnachweisen in Rn. 21
5 5 U 603/12; Abdruck in MDR 2013, 30/31 sowie VersR 2013, 513 bis 515, schließlich in MedR 2013, 246
6 so Pauge (ehemaliger Arzthaftungsrichter des 6. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs), Arzthaftungsrecht, 13. Auflage 2015, Rn. 388 mit Nachweisen der Rechtsprechung des BGH
7 Pauge a.a.O. Rn. 389 mit Darstellung der Kasuistik über acht Buchseiten hinweg!!!
8 vom 26.04.2015 zu 12 U 166/10 (Darmoperation an einem Pferd)
9 Pauge, wie oben Fn. 6, a.a.O. Rn. 605 unter Hinweis auf die Grundsatzurteile des für die Humanmedizin zuständigen 6. Zivilsenats des BGH seit 1987
10 Pauge a.a.O. Rn. 383 mit Rechtsprechungsnachweisen
11 Urteil vom 11.04.2011 zu 21 U 5534/10 mit Anmerkung Lehmann VersR 2011, 1413/1414
12 Beschluss vom 19.08.2014 zu 4 W 19/14
13 Urteil vom 27.10.2015 zu VI ZR 23/15
14 Urteil vom 26.03.2015 zu 14 U 100/14
15 Veröffentlichung der Pressestelle des Bundesgerichtshofs: „Umkehr der Beweislast bei grobem Behandlungsfehler eines Tierarztes?“
16 ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs
17 Oexmann, Das tierärztliche Gutachten aus juristischer Sicht, in: Tierärztliche Praxis Großtiere 2010, 191 bis 199
18 Pauge a.a.O., Rn. 648 ff. mit Nachweisen
19 Urteil zu VI ZR 166/08; dazu Oexmann, Versicherungsschutz bei tierärztlichen Maßnahmen – Ansprüche des Tierarztes aus der Tierhalterhaftpflicht, in: Pferdespiegel 2014, 21 bis 23
20 Urteil vom 11.06.2012 zu 20 U 38/11
21 zur Beschädigung eines Endoskops bei tierärztlicher Behandlung eines Pferdes die rechtskräftige Entscheidung des OLG Hamm vom 23.03.2015 zu 3 U 37/14