Veröffentlicht von Dr. Oexmann am 2008-12-12
Haftung des Sportlers bei Sportunfällen Dr. jur. Burkhard Oexmann
Sport als sportwissenschaftlicher Begriff
• Dialektische Begriffspaare:
• Gesundheitssport- Leistungssport
• Freizeitsport- Showsport
• Breitensport- Spitzensport
• Amateursport- Berufssport
• Supplementäre Kriterien: Körperbewegung, Streben nach Leistung, Leistungsvergleich, Chancengleichheit, Organisation, Regeln
• Säule 1: Sportautonome Regelwerke
• Säule 2: Staatliches Sportrecht
• Immanenter Zielkonflikt: Staat und Individuum im Subordinationsverhältnis
• Formen:
• Subventionen = Sportförderung
• Sanktionen = Reglementierung
Sport und Staatsverfassung
• Grundgesetz von 1949: Fehlanzeige
• Art. 16 der Verfassung Griechenlands: "Der Sport steht unter dem Schutz und der obersten Aufsicht des Staates."
• Art. 30 III der Verfassung Thüringens: "Der Sport genießt Schutz und Förderung durch das Land und seine Gebietskörperschaften."
Haftungsvoraussetzungen (vertragliche)
• § 280 I 1 BGB ? unmittelbare Vertragspartner
• §§ 241 III, 311 III BGB ? mittelbare Vertragspartner = Vertrag mit Schutzwirkung zG Dritter
• (vertragliche Privilegierung unterhalb der primären Leistungsansprüche im Bereich der sekundären Schutzpflichten)
Beispiele für vertragliche Sportlerhaftung
• Top-Rope-Klettern (OLG Karlsruhe VersR 2005, 228)
• Kart-Bahn (Benutzungsordnung bei Freizeitparks qua Einbeziehung nach § 305 II BGB "Gelbe Flagge: Gefahr! Langsam Fahren! Über-holverbot!"
• Quad-Tour (BGH v. 09.09.2008, VI ZR 279/06, www.bgh.de ? Entscheidungen)
Haftungsvoraussetzungen (deliktische)
• Verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung
• § 833 S. 1 BGB (Pferd)
• § 7 I StVG (Ralleyfahrzeug)
• § 33 I 1 LuftVG (Heißluftballon, Segelflugzeug)
Verschuldensabhängige Gefährdungshaftung
• § 823 I BGB
• § 823 II BGB iVm Schutzgesetz (UVV, GSPG)
• § 831 I 1 BGB
• Exkurs: § 31 BGB (Organhaftung; keine anspruchsbegründende, sondern haftungszuweisende Norm); BGH VersR 1986, 345: Reitverein ohne Versicherungsschutz; Befreiungsanspruch
Geschichte der Sportlerhaftung
• Ulpians Digesten: "volenti non fit iniuria"
• RG 1928: Einwilligung in die Verletzungsgefahr beim Boxsport; Risikoübernahme beim Sport = "Handeln auf eigene Gefahr"
• BGH 1961/1974: Fußballspieler nimmt Verletzung bei regelkonformem Spiel in Kauf. SchE bei Nachweis eines Regelverstoßes (ego: Kopernikanische Wende der Rechtsprechung)
Dogmatik der Sportlerhaftung
• Legislative Konzeption: Eingriff in fremdes Rechtsgut erfüllt den Tatbestand
• Judizielle Konzeption: Schadensersatzpflicht nur bei Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter durch konkrete Verletzung von Verhaltenspflichten
• BGH VersR 2003, 2018: Gewichtige Regelverletzung bei Sportwettbewerb mit nicht unerheblichem Gefahrenpotential
Praktische Konsequenzen aus Dogmatik
• Haftung ex § 823 I BGB nur bei Verletzung konkreter Verkehrspflichten (Zweistufigkeit von Tatbestand und Rechtswidrigkeit)
• Haftung ex § 823 II BGB: Abschließende Konkretisierung der Verkehrspflichten durch Schutzgesetzte (Ausnahme: Boxsport; Wettkampfregeln ? Kopftreffer ? Niederschlag)
• Reziprozitätstheorie: Je höher das Gefahrenpotential, desto gewichtiger der Regelverstoß
Verkehrspflichten im Sport
• Konkretisierung durch Verbandsregelwerke und gesetzliche Normen
• Differenzierung nach Verletzungsgefährlichkeit der Sportarten
• Typ 1: Individualsportarten (Sport nebeneinander)
• Typ 2: Kampfsportarten (Sport gegeneinander)
Definition und Kasuistik (Individualsportart)
• Ausübung ohne andere Sportler; keine Konfrontation, keine körperlichen Kontakte
• ergo: Gefährdung Dritter begriffsimmanent ausgeschlossen/verboten
• Beispiele: Ski (alpin + nordisch), Eislauf, Bergsteigen, Inlineskating, Leichtathletik, Golf, Tennis, Squash, Segeln, Schwimmen, Radsport, Reiten, Motorsport, Turnen, Flugsport
Definition und Kasuistik (Kampfsportart)
• Ausübung in Zwei- oder Mehrkampf; Kampf gegeneinander; körperliche Kontakte, sportartimmanente Konfrontation mit Körper und/oder Sportgerät
• Beispiele: Boxen, Eishockey, Fußball, Handball, Basketball, Volleyball, Ringen, Judo
Regelwerke einzelner Sportverbände
• Skisport ? 10 FIS-Verhaltensregeln (www.fis-ski.com)
• Leichtathletik ? Internationale Wettkampfregeln (www.deutscher-leichtathletik-verband.de)
• Segeln ? Internationale Wettsegelbestimmungen (www.sailing.org)
• Fußball ? Fußball-Regeln des DFB (www.dfb.de)
Rechtsprechungsbeispiele (Teil 1)
• Skifahrer 1: OLG Brandenburg MDR 2008, 860
• Skifahrer 2: LG Bonn SpuRt 2005, 212
• Skifahrer 3: OLG Dresden VersR 2004, 1567
• Leichtathlet 1: AG Westerstede SpuRt 2007, 39
• Leichtathlet 2: OLG München VersR 1982, 1105
Rechtsprechungsbeispiele (Teil 2)
• Fußball 1: LG Trier v. 10.07.2007 (1 S 75/07)
• Fußball 2: OLG Stuttgart MDR 2000, 1014
• Fußball 3: OLG Hamm SpuRt 1998, 156
• Eishockey: AG Düsseldorf SpuRt 2007, 38
Gefährdungshaftung beim Pferdesport
• Haftungskonstellationen
• Reiter wird vom Pferd verletzt, dessen Reiter nicht Halter ist
• Reiter wird vom Pferd eines anderen Reiters verletzt, der selbst Halter des schädigenden Pferdes ist
• Unbeteiligter Dritter wird vom Pferd verletzt
Kollisionsrechtliche Probleme bei Pferdeunfällen
• §§ 833 S. 1, 833 S. 2, 834, 254 I BGB
• Pferdeunfall 1: OLG Koblenz NZV 2006, 304
• Pferdeunfall 2: OLG Schleswig NZV 2004, 304
• Pferdeunfall 3: OLG Düsseldorf v. 11.06.2003 (I-4 U 207/01)
• Problem: Multilaterales Haftungskonstrukt (cave ? Passivlegitimation ? Verjährung)
Haftung des Sportlers gegenüber Dritten
• Zuschauer: Sicherungsmaßnahmen obliegen Veranstalter (Mountainbike: LG Waldshut-Tiengen NJW 2002, 153)
• Helfer + Schiedsrichter (Schiri-Sturz: OLG Oldenburg SpuRt 1994, 2003)
• i.Ü.: Gefährdungshaftung nach §§ 833 S. 1 BGB, 7 I StVG, 33 I 1 LuftVG
Ausdrücklicher Haftungsausschluß (AGB)
• "Teilnahme auf eigene Gefahr" durch Aushang oder Individualschreiben
• Beim Reitsport im Verhältnis Reiter zu Halter unwirksam (BGH VersR 1977, 864)
• Heute: Klauselverbot des § 309 Nr. 7a BGB
• Zulässig: Beschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (OLG Koblenz VersR 1993, 1164)
Stillschweigender Haftungsausschluß
• Ältere Rechtsprechung "Handeln auf eigene Gefahr" bejahend
• Neuere Rspr.: Reitsportunfälle nein, Ausnahme bei drohender Eigengefährdung
• Sport im übrigen: Nein, aber mit Ursächlichkeit (Motorralley + Ölfilm auf Straße ? OLG Koblenz SpuRt 1995, 137)
Mitverschulden
• Bei Gefährdungshaftung zu berücksichtigen (§§ 254 I BGB, 9 StVG, 34 LuftVG)
• Bei Verschuldenshaftung: Sportteilnahme löst Risiken aus ("Sport ist Mord"). Daher stets gegenseitige Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge
• BGH NJW 1972, 627 (Skiunfall)
• OLG Karlsruhe NJW 1978, 706 (Bergsport)
• OLG Hamm NJW-RR 1990, 925 (Segelsport)